rolf leibenguth im zeichen der stille über die zeichnungen von martin r. becker i was ehedem skizzen waren, notate des künstlers für noch zu fertigende werke, was momentaufnahmen von beobachtungen oder von spontanen einfällen waren, seit der frühen romantik, der hochzeit der zeichnung, werden sie als eigenstän- dige werke betrachtet und anerkannt. das vorläufige an ihnen, das unfertige, das nicht ausgearbeitete, das bewußt fragmentarische gilt seitdem immer mehr als beleg für einen geistigen, seelischen und gesellschaftlichen zustand, dem die komplexizität der moderne über den kopf gewachsen ist und also die einfachen zu- sammenhänge und die übersicht abhanden gekommen sind. die teile können ihm immer weniger zu einem ganzen zusammengefügt werden. einzig, so scheint es, im aphorismus ist noch prägnanz zu erreichen. er aber steht für sich, ist die spitze eines eisbergs, dessen masse unter dem sicht- und erkennbaren, d.h. unter der begrifflich faßbaren oberfläche im dunkel des überforderten bewußtseins bleibt. was also heute, auch im zeitalter der megamaschinen, nicht möglich ist, nämlich die unendliche zahl von quantitäten in ein umfassendes bezugssystem zu integrie- ren, das kann auch dem künstler nicht gelingen. was aber setzt er dagegen? träume, visionen, spekulationen, das „große abs- trakte“, die gegenstandslosigkeit. er setzt zeichen und gibt ihnen die scheinbare sicherheit einer autonomen, gleichwohl verschlüsselten neuen sprache. sie näm- lich läßt nun mit all ihren unschärfen im unbekannten zu, das nicht mehr genau zu benennende, das numinose oder das unbewußte einem kaum überprüfbaren raum für interpretationen und deutungen zu überantworten. oder, auch künstler und zeitgenossen des technischen zeitalters, sie suchen, naturwissenschaftlern vergleichbar, nach methoden, die der erforschung von detailproblemen dienen. der farbe z.b., dem material z.b., oder sie gehen wie neurologen vor, um die flüch- tigen erregungen und bewegungen der psyche so unvermittelt wie nur möglich aufzuzeichnen. dies alles geschah und geschieht und ist unumkehrbar geworden bei der ästhetischen erfassung der welt. aber, in stilformen gepreßt, die reinheit 8